KI und Kunst: Zeit, bewusst zu überfordern!
Das muss man dem Stuttgarter Kammerorchester und seinem Intendanten Markus Korselt lassen: Sie haben Mut, und zwar jede Menge. „Goldbergs Traum“ zeigt, dass sie bereit sind, ins und durchs Feuer zu gehen – und Kritik in Kauf zu nehmen. Und die war vorprogrammiert!
Die Kombination aus klassischem Streichorchester, künstlicher Intelligenz und futuristischen Animationen ist nichts, was das Publikum einfach so schluckt. Der Altersdurchschnitt im Beethovensaal lässt zunächst an „alte Schule“ denken, nicht an Roboter und KI-generierte Schwarzweißvideos. Und doch klatschen sie am Ende. Wobei: Applaus ist das Mindeste, was man erwarten kann – aus Respekt, wenn nicht aus Begeisterung.
In Stuttgart klatschen sie immer?!
Markus Korselt und sein Team sind tatsächlich Vorreiter, weil sie viel riskieren. Und genau das müssen Führungskräfte heute (wieder) tun. Doch so mutig der Traum von Goldberg ist, so drängend ist die Frage:
Reicht dieser Mut in Zeiten wie diesen aus?
Aus Sicht des TRENDBEOBACHTERS ist eines klar: Veränderung braucht mehr als vorsichtige Annäherung. Die regelmäßig überfordernde Innovation ist das Mindeste, was wir heute fordern sollten. Kleine, gefällige Impulse mögen für ein 90-minütiges Konzert reichen, sind aber hoffentlich nur der Anfang.
Und das gilt nicht nur für das Stuttgarter Kammerorchester, sondern für uns alle. Unternehmen, Institutionen und jede Führungskraft müssen sich der Realität stellen: Der Wandel kommt und er kommt nicht in homöopathischen Dosen.
Keine Zeit für seichte Schritte
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen – ob gesellschaftlich, technologisch oder ökologisch – sind zu groß für zaghafte, vorsichtige Veränderungen. MegaTrends wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Klimawandel rasen auf uns zu, und wir diskutieren immer noch, ob ein Roboter im Konzertsaal zu viel des Guten ist? Gerade „Kultur“ und „Kunst“ können und müssen hier eine Rolle spielen, als Ergänzung und Beschleuniger dieser Veränderungsprozesse.
Was das Kammerorchester vormacht, ist mutig – aber es darf kein Einzelfall bleiben. Wir können uns nicht damit begnügen, in der Kultur ein bisschen Zukunft zu schnuppern. Jede Institution, jede Branche kann und muss sich viel radikaler dem Wandel stellen. Die Zeiten, in denen man sich „entspannt“ auf Veränderungen vorbereiten konnte, sind vorbei. Jetzt sind große und entschlossene Schritte gefragt. Egal wie alt oder jung das Publikum oder wie tief verwurzelt die Traditionen sind, Veränderung ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Wandel als Notwendigkeit – Danke für diesen Traum!
„Goldbergs Traum“ ist ein Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn Tradition auf Innovation trifft. Aber es muss mehr als ein Experiment sein. Es muss zum neuen Standard werden. Noch einmal: Wir können es uns nicht mehr leisten, Veränderungen wie exotische Gäste zu behandeln, die ab und zu mal vorbeischauen, aber bitte nur im Vorprogramm.
Korselt hat es geschafft, seinem Orchester die Tür in die Zukunft zu öffnen – aber er und seine Kolleginnen und Kollegen in den anderen Sparten müssen diese Tür jetzt auch richtig aufstoßen. Und das Publikum, ob Konzertbesucher, Kunden oder Mitarbeiterinnen, muss lernen, durch diese Tür zu gehen. Ja, es wird unbequem werden. Und ja, es wird auch Kritik geben. Aber das ist der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir nicht auf der Strecke bleiben wollen.
Und wo bleiben die jungen Menschen?
Eines wurde im Beethovensaal leider deutlich: Die „Jugend“ fehlte.
Während in der Galerie Kernweine gerade die Ausstellung Final Fantasy MMXXIV von Max Kuwertz läuft – mit einem jungen Publikum, das sich für KI-basierte Kunst und hyperreale Multiversen begeistert – sucht man in der Liederhalle vergeblich nach frischen Gesichtern. Und umgekehrt?
Es wird deutlich, wie wichtig es ist, die Generation mit ins Boot zu holen, die diese neuen Technologien lebt und atmet, um den Wandel voranzutreiben.
Was in der Galerie Kernweine geboten wird, ist in vielerlei Hinsicht – auf seine Art – revolutionär. Die Videoinstallationen (neben nicht minder interessanten KI-Bildern) von Max Kuwertz, die rein durch künstliche Intelligenz entstanden sind, sind so überzeugend, dass selbst das geschulte Auge eines Zukunftsexperten kaum glauben kann, dass hier keine menschlichen Hände im Spiel waren. Was ist das für eine Leistung? Kunst? Technik? Fotografie? Oder etwas völlig Neues? Diese Installationen überschreiten die Grenze zwischen Kreativität und Algorithmen so fließend, dass die klassische Unterscheidung zwischen “menschlicher” und “maschineller” Kunst ins Wanken gerät. Hier verschmelzen die Welten und der Betrachter wird herausgefordert, sich neu mit der Frage auseinanderzusetzen, was Kunst im Zeitalter der KI bedeutet.
Und genau hier zeigt sich, was der Liederhalle (noch) fehlt: Die junge Generation, die sich traut, solche Fragen zu stellen und Antworten im Unbekannten zu finden. Die Auseinandersetzung zwischen den „Bubbles“. Die nicht nur den Applaus sucht, sondern in neue Dimensionen eintauchen will. Diese Menschen gehören in die Liederhalle, um den Wandel nicht nur zu beobachten, sondern voranzutreiben. Ohne diese Energie bleibt die Tür zur Zukunft nur einen Spalt offen – und das ist eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen.
P.S. Genau dafür sind nicht nur die Macherinnen und Macher im Konzertsaal oder in der Galerie verantwortlich. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe!
Genau deshalb geht auch Mathias Haas, DER TRENDBEOBACHTER, genau dorthin. Haas war noch nie beim Stuttgarter Kammerorchester und er sagt: Merci vielmals!
„Merci vielmals“ natürlich auch an Mick Orel und Oliver Kröning. Ohne diesen Anruf wäre dieser Impuls von Max Kuwertz wahrscheinlich an uns vorbeigegangen. Vielen Dank!