„Ich habe zwei Inder bestellt“ – Fachkräfte suchen, Werte verlieren?
Der baden-württembergische Fleischermeister und Innungsobermeister Harald Hohl sagte kürzlich (Heilbronner Stimme 08.07.2024), er habe zwei Inder „bestellt“, um den akuten Fachkräftemangel in seinem Betrieb zu beheben. Diese Aussage klingt erschreckend nüchtern – als könne man Menschen einfach wie ein Produkt „bestellen“, um einen Mangel zu beheben. Doch genau hier liegt ein Kernproblem: Deutschland steht vor einer tiefen moralischen Herausforderung, wenn es um die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland geht.

Demografie-Krise: Deutschlands Plan
Deutschland kämpft mit einem demografischen Problem: Die Bevölkerung altert, die Geburtenrate sinkt. Die Folge ist ein spürbarer Fachkräftemangel in vielen Branchen. Um dem entgegenzuwirken, setzt die Regierung verstärkt auf qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland.

Doch während der rechtliche Rahmen nun Erleichterungen schafft, stehen hinter dieser „Lösung“ viele unbequeme Fragen. Menschen werden zunehmend als Ressourcen betrachtet, die aus anderen Ländern „importiert“ werden, um die eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse zu decken. Menschliche und ethische Aspekte geraten dabei immer mehr in den Hintergrund.
Das Pilotprojekt: Menschen „bestellen“ für das Handwerk
Ein konkretes Beispiel ist das Projekt AINS-AH der Handwerkskammer Freiburg zur Anwerbung indischer Auszubildender für das südbadische Handwerk. Mit Unterstützung der indischen Partneragentur „Magic Billion“ werden junge Menschen aus Indien angeworben, um in Berufen wie Fleischer oder Bauhandwerker ausgebildet zu werden. Die Auszubildenden müssen erhebliche Vorleistungen erbringen: Sie lernen Deutsch, legen Sprachprüfungen ab und tragen die Kosten (vermutlich zwischen 8.000 und 12.000 Euro pro Person) selbst. Zum Vergleich: Das Statistische Bundesamt gibt das Bruttonationaleinkommen pro indische Einwohner derzeit mit 2.170 USD/Jahr an!
8.000 bis 12.000 Euro vs. 2.170 USD – Wer zahlt wohl den Preis?
Ihre Motivation? Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Deutschland.
Auch wenn es sicher Ausnahmen gibt … die Rahmenbedingungen sind hart – bei uns: geringe Ausbildungsvergütung, soziale Isolation, das Fehlen einer vertrauten Gemeinschaft und der ständige Druck, Geld nach Indien an die Familie zu schicken. Was als „große Chance“ verkauft wird, entpuppt sich für viele als schwere Bürde. Während sie in den Unternehmen als Lösung des Fachkräftemangels gefeiert werden, kämpfen sie im Stillen mit den emotionalen und finanziellen Lasten des vermeintlichen Aufstiegs. Ja, „Inderinnen und Inder sieht man nicht“. Sie halten viel aus – zu Hause wie bei uns. Das heißt noch lange nicht, dass es ihnen gut geht!
Moralische Verantwortung: Menschen sind keine Ware
Die Vorstellung, man könne Arbeitskräfte einfach „bestellen“, wie es Harald Hohl formuliert hat, zeigt die erschreckende Normalisierung eines Denkens, das Menschen als Ressourcen betrachtet. Die Wahrheit ist aber: Menschen sind (natürlich!) keine Ware. Sie kommen mit Hoffnungen, Träumen und individuellen Bedürfnissen nach Deutschland, nicht nur um eine Lücke auf dem Arbeitsmarkt zu füllen. Man kann davon ausgehen, dass die Familien dieser Menschen viel investiert haben – und sich meist auch verschuldet haben. Für das eine Familienmitglied, das nun Metzger oder Malerin wird.
Der Ansatz, Menschen aus Ländern wie Indien als kurzfristige Lösung für ein tief verwurzeltes demografisches Problem zu „importieren“, verkennt die tatsächlichen Herausforderungen im Alltag der Menschen – egal ob in Obersulm, Calw oder Welzheim. Im Mittelpunkt müssen nachhaltige Lösungen stehen, die sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen und emotionalen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen. Zuwanderung darf nicht zur reinen Marktlogik werden. Inklusive totaler Abhängigkeiten und ohne die unfassbaren Investitionen der Menschen z.B. aus Indien zu berücksichtigen.
Zur Information hier ein Lagebericht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: https://www.bmz.de/de/laender/indien/soziale-situation-10292
Ein globales Problem, das menschliche Lösungen braucht
Das demografische Problem Deutschlands ist kein Einzelfall. Auch Länder wie Japan, Italien, Südkorea und China kämpfen mit den Folgen einer alternden Bevölkerung. Und – ganz wichtig – Zukunftsforscher Haas sieht in diesem Austausch eine große Chance – für beide Seiten! Doch statt auf kurzfristige Lösungen wie den „unmoralischen Import“ von Arbeitskräften zu setzen, sollten wir uns fragen, wie wir als Gesellschaft mit diesen Herausforderungen umgehen wollen.
- Wie gestalten wir ein respektvolles Miteinander und den fairen Umgang mit diesen Menschen?
- Wie sorgen wir dafür, dass es ihnen wirklich gut geht – sowohl zwischenmenschlich als auch finanziell?
- Wie verhindern wir Isolation und Missbrauch von Machtverhältnissen?
- Wie entwickeln wir Arbeitsmodelle, die fair sind?
- Wie schaffen wir echte Perspektiven für ihre Zukunft?
- Wie lösen wir den Fachkräftemangel, ohne in die Falle der Ausbeutung zu tappen?
Es geht nicht nur um Arbeitskräfte. Es geht um Menschen, die alles aufgeben, um sich in Deutschland eine Zukunft aufzubauen. Und genau diese Menschen verdienen mehr als einen Platz als „Lückenbüßer“ in unserem System. Sie verdienen Anerkennung, Respekt und die Chance auf ein menschenwürdiges Leben.
Fazit:
Als DER TRENDBEOBACHTER sehe ich es als meine Aufgabe, nicht nur auf Trends hinzuweisen, sondern auch die ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu beleuchten. Menschen sind keine Ware, die man bestellen kann, um wirtschaftliche Probleme zu lösen. Es ist an der Zeit, über nachhaltige Lösungen nachzudenken, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen – und nicht nur den wirtschaftlichen Nutzen. Zumal wir unseren Lebensstandard ohne die Unterstützung aus dem Ausland nicht halten können!

Mathias Haas, Zukunftsbegleiter, war auf seiner letzten MINDSET TOUR in Indien. Hier liegen mehr Details zu dieser Recherchereise, bei der es natürlich auch um dieses Thema ging:
https://www.trendbeobachter.de/2024/02/11/die-hoffnung-in-der-kluft-was-sind-8-wachstum/
Für weitere Einblicke besuchen Sie www.trendbeobachter.de.
Für weitere Details zur Arbeit mit Organisationen: http://www.play-serious.org.