Technologie ist bereit. Sind wir es auch?
Wo Deutschland beim autonomen Fahren steht – und warum wir Tempo brauchen:
Deutschland möchte ein nachhaltiges Mobilitätsland werden. Baden-Württemberg will das sogar ganz besonders – aus nachvollziehbaren Gründen. Denn das Selbstverständnis eines Landes, das über Jahrzehnte hinweg als „Land der Autobauer“ galt, steht auf dem Prüfstand. Die Klimakrise ist nicht nur mess- sondern auch spürbar!
Die Zukunft der Mobilität wird nicht allein am Lenkrad entschieden, sondern an der Schnittstelle von Technologie, Infrastruktur, Regulierung, gesellschaftlicher Akzeptanz – und internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Genau deshalb wurde 2017 der Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg (SDA BW) ins Leben gerufen. Eine langfristig angelegte Plattform, auf der Wirtschaft, Wissenschaft, Verbände, Gewerkschaften, Umweltorganisationen und Politik an einem Tisch sitzen, um gemeinsam praktikable Lösungen zu gestalten.

Die jüngste Delegationsreise nach Südkorea, organisiert von Baden-Württemberg International in Zusammenarbeit mit dem Verkehrs- und dem Staatsministerium Baden-Württemberg, zeigte eindrucksvoll: Auch andere Länder haben beim Thema autonome Mobilität längst konkrete Schritte getan. Flächendeckend. Es gibt sie, die funktionierenden Systeme!
Autonomes Fahren: Ein globaler Realitätscheck
Südkorea hat sich, ähnlich wie China und in Teilen auch die USA, entschlossen, das autonome Fahren nicht als technologische Utopie, sondern als realpolitisches Infrastrukturprojekt zu behandeln. In Seoul etwa verknüpft das städtische Verkehrssystem unter dem Namen TOPIS bereits heute Datenströme aus Tausenden Kameras, GPS-Signalen von Bussen, Taxis und Leihfahrrädern sowie Sensordaten aus dem urbanen Raum – alles in Echtzeit. Dabei geht es nicht (nur?) um Überwachung, sondern um Verkehrssteuerung als Dienstleistung für den Menschen.

Auch das Korea Transport Institute (KOTI) sieht Mobilität nicht primär als Mittel zur Bewegung, sondern als Instrument zur Verbesserung der Lebensqualität. Dort ist explizit die Rede von einem „path to happiness“ und dem Ziel, durch die Gestaltung von Verkehrssystemen die Lebensqualität aktiv zu erhöhen. Bis 2030 sollen 30 Prozent aller Busse elektrisch fahren – mit einem einfachen, datengestützten Argument: Sie verursachen rund 40-mal so viel Emissionen wie Pkw.
Währenddessen meldet Waymo in den USA still, aber eindrücklich Fortschritte. Der Google-Ableger bietet autonome Fahrten in Städten wie Austin, Los Angeles oder Phoenix mittlerweile über Uber an – für breite Bevölkerungsgruppen, darunter auch Menschen mit Behinderungen. Die Fahrzeuge fahren sicher, ruhig, zuverlässig – nicht als Showeffekt, sondern als Service. In Seoul, beim Wettbewerber A2Z wurde behauptet, dass bei Waymo ein Remote-Support-Mitarbeiter zehn Autos betreut. Es funktioniert also – grundsätzlich. Der Zukunftsexperte Haas hat es selbst ausprobiert. Mehrfach.
Auch China entwickelt mit Hochdruck. Besonders bemerkenswert: Die Kooperation zwischen Mercedes-Benz und dem chinesischen Unternehmen Momenta.ai. Dort entsteht die Software für die nächste S-Klasse. Im autonomen Modus soll dort – nach gut unterrichteten Kreisen – im Schnitt nur einmal pro Stunde manuell eingegriffen werden müssen.

Und Deutschland?
Nicht nur Mathias Haas, der diese Entwicklungen als DER TRENDBEOBACHTER regelmäßig vor Ort erlebt, stellt sich die Frage: Wo stehen wir im internationalen Vergleich – und wie überholen wir andere „Player“? Welcher Preis steht dafür im Raum? Was bräuchte es nicht nur für eine Aufholjagd, sondern für die Pole-Position? Woher kommt die Wertschöpfung und an welcher Stelle bleibt die Marge?
Konkrete Zitate aus der Delegation zeigen, wie unterschiedlich die Perspektiven in Deutschland sind – und wie komplex das Thema tatsächlich ist:
„Wir benötigen in Deutschland die Freigaben für Level 2++, um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben.“ – Kürşat Kartal, Head of R&D Mercedes-Benz Korea.
Kartal spricht aus der Praxis. Seine Aussage verweist auf eine technologische Schwelle: In Deutschland fehlt, aus seiner Sicht, derzeit die regulatorische Erlaubnis, Fahrzeuge mit erweiterten Assistenzsystemen (Level 2++) im Alltagsverkehr breit auszurollen. Die Folge: Technologien, die längst (etwa in Korea) marktreif sind, können nicht in ihrer vollen Funktion getestet oder angeboten werden. Für ein exportorientiertes Unternehmen wie Mercedes-Benz ist das ein Wettbewerbsnachteil – vor allem in Märkten, die regulatorisch weiter sind.

Dem gegenüber steht die Einschätzung von Winfried Hermann, Verkehrsminister Baden-Württemberg: „Auch die deutsche Automobilwirtschaft kann mehr Eigeninitiative zeigen, beispielsweise bei der Ladeinfrastruktur. Die Politik kann die Versäumnisse der Industrie grundsätzlich nicht kompensieren. Seit drei Jahren gibt es zum Beispiel ein nutzbares, verlässliches Regelwerk zum autonomen Fahren.“
Hermann verweist auf eine andere Wahrheit – und die ist politisch nicht bequem: Deutschland hat bereits regulatorische Grundlagen für autonomes Fahren geschaffen. Doch die Industrie schöpft sie nicht aus. Die Eigenverantwortung der Hersteller sei ausbaufähig. Es sei nicht Aufgabe der Politik, Innovationsverweigerung zu kompensieren. Das ist eine klare, aber faire Kritik an einer Branche, die sich zu oft hinter „fehlenden Rahmenbedingungen“ versteckt – obwohl sie in Teilen längst vorhanden sind.
Was sagt die Wissenschaft?
Aus wissenschaftlicher Perspektive ist in Deutschland beim autonomen Fahren deutlich mehr möglich, als aktuell realisiert wird. Die technischen Grundlagen sind vielfach vorhanden – es fehlt jedoch an mutiger Nutzung, konkreter Umsetzung und echter Kooperation. Zu oft verharren Systeme im Entwicklungsstadium, weil sich Akteure aus Industrie und Verwaltung gegenseitig den Ball zuspielen, statt gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.
Gerade hier kann der Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg (SDA BW) eine Schlüsselrolle spielen: als Plattform für ehrliche Standortbestimmung, gezielte Pilotprojekte und verbindliche Umsetzungsallianzen. Denn nur wenn Theorie und Praxis konsequent vernetzt werden, entsteht aus Möglichkeiten auch tatsächlicher Fortschritt.
Was jetzt zu tun ist – auch im Rahmen des Strategiedialogs
Deutschland hat nicht nur gute Entwickler, Ingenieure und Infrastrukturexpert:innen – es hat auch funktionierende politische Institutionen, die Innovation unkompliziert begleiten können. Und doch scheint es oft, als ob genau diese Voraussetzungen zur Verlangsamung führen.
Die Lösung liegt nicht in einer einzelnen Maßnahme, sondern in einem Bündel von Kulturveränderungen:
- Selbstreflexion: Wo stehen wir wirklich? Vergleichen wir uns mit der Welt – oder nur mit unserem gestrigen Stand?
- Verantwortungsübernahme: Wer entscheidet, wenn niemand zuständig ist? Die klare Definition von Rollen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung ist überfällig.
- Kommunikation: Es reicht nicht, über Mobilität der Zukunft zu sprechen. Wir müssen sie erklären, erlebbar machen – und öffentlich verteidigen.
- Investition in Vermittlung: Viele Projekte scheitern nicht am Inhalt, sondern an der Darstellung. Moderation, Visualisierung, Formate für gemeinsames Verstehen werden genauso entscheidend wie technische Expertise.
- Mut zur Internationalität: Delegations- und Lernreisen wie die nach Korea sind keine PR-Events – sie sind notwendige Reibungsflächen. Wer echte Fortschritte sehen will, muss raus aus der eigenen Komfortzone.
- Institutionalisierung von Kooperation: Hier leistet der SDA BW bereits wertvolle Arbeit. Doch es braucht noch mehr Verbindlichkeit, mehr Umsetzungskraft, mehr operative Taktung – auch jenseits der Exzellenzcluster und Förderprojekte.
Autonomes Fahren ist kein Luxus – es ist Teil der Lösung
Angesichts des demografischen Wandels, des Fahrermangels in Logistik und ÖPNV, der ökologischen Herausforderungen und des steigenden Anspruchs an Sicherheit und Lebensqualität ist autonomes Fahren nicht „nice to have“, sondern ein strategisches Zukunftsinstrument.
Es ersetzt keine Verkehrswende, aber es ergänzt sie sinnvoll. Es ersetzt keinen Fahrer, aber es schafft dort Alternativen, wo heute niemand mehr fährt. Es reduziert nicht sofort alle Emissionen, aber es kann helfen, Städte intelligenter, sicherer und zugänglicher zu gestalten.
Für Baden-Württemberg – einst Heimat von Autoikonen – ist das mehr als ein Technologiethema. Es ist eine Chance auf ein neues Narrativ: Vom Land der Autobauer zum Land der Mobilitätsmacher.
Und diese Chance kommt nicht wieder!

Ja, Mathias Haas ist DER TRENDBEOBACHTER und eben kein typischer Trendforscher. Der Zukunftsexperte ist auch kein klassischer Zukunftsforscher. Mathias Haas zeigt die Zukunft im „Hier & Jetzt“. Er und sein Team arbeiten an und mit allen MegaTrends. Die Besonderheit ist, dass er Themen wie „KI“ und „Nachhaltigkeit“ auf konkrete Praxis- und Paradebeispiele, konkrete Innovationen und Geschäftsmodelle hin prüft. Der Zukunftsbegleiter Haas ist vor Ort – wie hier in den letzten Wochen: China, USA, Japan und Korea.
Mehr zur Zukunftsbegleitung von Mathias Haas und seinem Team – insbesondere in der PLAY SERIOUS AKADEMIE – macht er Organisationen aller Art zukunftsfit. Letzteres soll heißen, dass diese Unternehmen, Betriebe und Verbände den Zeitgeist kennen und die eigene Positionierung wie Strategie zeitgemäß prüfen und überarbeiten. Hierbei wird das Bewusstsein „hochgehalten“, dass es schlussendlich um die operative Umsetzung geht. Zukunft findet nicht auf PowerPoint-Slides statt 😉