Die IAA gibt einen Zwischenstand: Es wird heftig.
Zur IAA Mobility wurde einiges geschrieben. Jedes Mal war der Bezug zu China inklusive.
Vorab ist nennenswert, dass die IAA wirklich eine IAA Mobility geworden ist. Zwar sind im Vergleich zum Vorjahr kaum noch Fahrräder zu sehen, und doch sind nicht nur reihenweise bekannte und weniger bekannte Hersteller aus China vor Ort, sondern auch J.P. Morgan, LG, Samsung, Meta und TikTok. Nicht alle Anbieter sind mit großartigen Messeständen präsent. Tesla stellte einfach zwei Autos ab. Andere tummeln sich auf dem IAA Summit.
Jenseits von München ist längst klar, warum wir alle Elektroautos so gut finden: Die Entscheider im größten Markt der Welt haben entschieden und damit eine höchst leistungsfähige Branche aufgebaut: Autobauer aus eben diesem China. Viele Autobauer. Je nach Quelle sprechen wir von 100 bis 300 Marken. Mit circa 500 EV-Modellen. Die größten davon waren auf der IAA.
Staatlich gesteuert und gefördert hat das Reich der Mitte vertikal integriert
Oder anders formuliert: Vom Bergwerk bis zum Auto bzw. Autohandel liefert das chinesische Ecosystem. Mit geduldigem Geld und enormen Kapazitäten. Am 4. September berichtet etwa die Financial Times, dass „die Produktionskapazität in Chinas Batteriefabriken in diesem Jahr voraussichtlich 1.500 Gigawattstunden erreichen wird.“ Genug für 22 Millionen Elektrofahrzeuge – und damit mehr als doppelt viel wie die aktuelle Nachfrage, die von der zitierten Forschungsfirma CRU Group bei 636 GWh prognostiziert wird.
Zeitgleich hat China offensichtlich (wirtschaftliche) Probleme aller Art. Es liegt also sehr nahe, dass es diese Anbieter noch stärker in die Ferne treibt. So wie BYD – Bild Your Dreams, der ziemlich bekannte „VW-Konkurrent“.
Bei der Pressekonferenz wurde bekannt gegeben, dass alleine dieser Anbieter sechs Modelle nach Deutschland bringt. Den äußerst attraktiven Seal ab 44.900 EUR zum Beispiel oder der Seagull mit einer Reichweite von 300km und einem Preisschild rund um 10.000 EUR. Ach ja, und ganz nebenbei hierzulande auch eine zusätzliche Marke einführt: Denza. Hier starten die durchaus selbstbewussten Chinesen mit dem Premium-Van D9. Auch dieser startet bei sehr schnittigen 47.000 EUR.
Nicht jeder Kunde wird diese Anbieter (direkt) lieben
O-Ton in der besagten Pressekonferenz: „BYD is not new here“. Dabei wird auf die bereits mächtige Marktposition bei Linien- und Flughafenbussen verweisen. Zu Recht. Dort haben die Macher aus Shenzhen beachtlich schnell Erfolg eingefahren. Trotz oder gerade wegen den sehr speziellen Ausschreibungen und/oder sehr strategischen Vorgehen?
Laut WirtschaftsWoche jedenfalls haben diese Hersteller erstmals mehr Softwareinnovationen zur Marktreife gebracht als die deutschen Autobauer. Laut dem Innovationsranking des Center of Automotive Management sehen die Chinesen unsere Player eindeutig im Rückspiegel.
Bei einem so zentralen Thema wie „Software“!
Ganz konkret? Laut eigenen Angaben hat BYD 90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Forschung – nur in der R&D Abteilung! Diese melden täglich (!) 19 Patente an. 15 davon werden offiziell freigegeben. Sicher nicht alle in der Software, und doch lassen diese Zahlen auch den internationalen Schwaben nur so staunen. Die schiere Menge ist beachtlich – Tendenz steigend.
Die Folge in Phase 1 wird wohl sein, dass Kunden die Orientierung fehlt. Der Markt wird unübersichtlicher. Wir müssen nicht nur neue Marken aussprechen lernen, sondern auch unterscheiden, welcher Anbieter was kann und wo sie z.B. den Kundendienst realisieren. So hat der Zukunftsexperte Haas für die Besichtigung von BYDs nach Ulm fahren müssen. Dieser Besuch war lange vor der IAA…
Die Phase 2 wird ganz sicher einen unendlich harten Preiskampf produzieren. Dafür gab es übrigens bereits „Abstimmungsgespräche“ innerhalb von China. Damit es dort nicht allzu viele Opfer gibt, hatte im März die CAAM (China Association of Automobile Manufacturers) die Automobilhersteller und die lokalen Behörden aufgefordert, den “Preissenkungshype” abzukühlen, um eine stabile Entwicklung der Branche zu gewährleisten.
Ob die CAAM sich auch um Europa sorgt?
Für Durchschnitt wird es eng werden. Und für die Masse der Neupräsentationen in München passt der Begriff „Durschnitt“ sehr gut. Da war etwa der neue Scenic von Renault. Klar, einige Optimierungen wie ein spezielles Schiebedach, das sich visuell anpasst und modulierbar ist – aber nicht schiebt. Oder die Überarbeitung des Tesla Modell 3. Auch nett. Sehr clean. Und damit, je nach Geschmack, vielleicht sogar etwas über dem Mittelmaß.
Das zentrale Highlight war der „Vision Neue Klasse“ von BMW
Hier wurde (nachhaltig) gesteckt und weniger geklebt. Weniger und deutliche nachhaltigere Materialien eingesetzt – und diese sogar von außen bis in den Innenraum verlängert (z.B. die Stoßstange). Es ist eben kein SUV und weit mehr als ein Concept Car. Diese vollelektrische Studie ist ein Symbol für eine ganze Serie an Fahrzeugen (6 Modelle ab 2025). Der Startschuss war auf der CES, in München wurde die nächste Ausbaustufe präsentiert.
Mutig und weit weg von China
Lichtanimationen, abfallende Front der Motohaube, eine doppelte Fensterlinie, schwebende Sitze in einem extrem aufgeräumten Innenraum, der gesamte fordere Teil des Innenraums ist ein riesiges Head-up-Display.
All das war ganz sicher möglich, weil „die Jugend“ Beinfreiheit erhalten hat. Menschen wie Maximilian Resch, Advanced Design Spezialist und vier Kolleginnen und Kollegen hatte freie Hand. Alle waren übrigens unter 30 Jahren. Kein Wunder also, dass „heilige Elemente“ wie das bekannte iDrive nicht mehr zu sehen sind.
Weniger „Legacy“ hilft, damit die „Durchschnittszone“ verlassen wird!
Lange Rede…
…es wird sehr relevant werden, inwieweit die Reaktionen von deutschen Autobauern selbstkritisch sein werden und vermehrt Neuland betreten wird. Inwieweit in Wolfsburg, Ingolstadt oder Stuttgart das Prinzip der deutschen Fußballnationalmannschaften der Goldstandard ist: Nach dem Motto „Loyalität > Performance“. Oder ob die Autobauer und Autobauerinnen bereit sein werden, mehr Risiko einzugehen und größere Schritte zu wagen.
Da macht es Mut, zum Beispiel vom Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer zu hören, dass genau dieser Prozess deutlich schneller realisiert werden soll. Gleichzeitig wird die Anzahl der Entwickler verdoppelt. In China.
So schließt sich der Kreis?!
DER TRENDBEOBACHTER kommt aus Benztown und ursprünglich sogar aus Schorndorf. Dort wurde das Auto erfunden. Heutzutage ist der Blick von Mathias Haas und seinem Team deutlich breiter. Nicht nur das Schicksal der Automobilzulieferer liegt ihm am Herzen, sondern das ganze Ökosystem. Quasi das ganze Land.
Wie viel Wohlstand liegt in Deutschland an diesen vier Rädern? Und selbst in der Schweiz und in Österreich sind derartige Entwicklungen von hoher Relevanz. In beiden Ländern ist Deutschland der jeweils wichtigste Handelspartner.
In diesem Sinne… wir sehen uns in dieser Zukunft!
#Zukunftsbegleitung